In Südjemen sprengten Bewaffnete eine Ölpipeline, kurdische Guerillakräfte attackierten eine Ölpipeline in der Türkei und in Nordirak wurde eine Öl-Transportleitung zerbombt. Ereignisse, auf die nicht nur die Pipelinebetreiber verzichten können. Von solchen Problemen ist Russland aber weit entfernt. Dort herrscht Feierstimmung: Denn voll im Soll ist die für geschätzte 7,4 Milliarden Euro errichtete, 1.224 Kilometer lange Nord Stream. Beide Stränge sind mittlerweile in Betrieb und könnten bei voller Auslastung 55 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr befördern. Mit dem Medium, das von der Jamal-Halbinsel und vom Gasfeld Schtokman in der Barentsee über die Ostsee nach Deutschland transportiert wird, wäre es möglich, 26 Millionen Haushalte in der EU zu versorgen. Eine stolze Zahl.
Großes Medienecho
Zum Projekt beigetragen haben auch Armaturenunternehmen. Petrovalves aus Italien lieferte vier 102 Tonnen schwere Absperrventile für die Nord Stream. Die jeweils 10,4 Meter hohen und bis zu 4,1 Meter breiten Ventilkolosse wurden in Deutschland und Russland an den Anlandungsbereichen der Pipeline installiert. Die Absperrarmaturen befinden sich vor den Molchschleusen, um das Gas in der Pipeline von den Schleusen zu trennen, wenn diese nicht in Betrieb sind. „Die Molche, intelligente Inspektionsgeräte, werden regelmäßig durch die Pipeline befördert und suchen von innen nach Korrosionsschäden oder Lecks“, berichtet das Betreiberkonsortium Nord Stream AG.
Über einen Auftrag im Rahmen des Ostsee-Pipelineprojektes freute sich auch die artec AIS. Im Auftrag von Wingas fertigte das deutsche Unternehmen zehn Regelkugelhähne – class 1.500 / 250 bar – für die Anlandestation Greifswald in Deutschland. Sie sind rein metallisch dichtend mit zusätzlichem Hochverschleißschutz. Im Einsatz für die Regelaufgabe sind kompakte elektro-hydraulische Antriebe mit sehr hoher Stellgenauigkeit, berichtet artec AIS. Sie gewährleisten „selbst bei einem längeren Stromausfall, dass durch die Speicherung von Energie in den Blasenspeichern des Antriebes festgelegte, vorher genau definierte Schaltvorgänge der Regelarmaturen sicher ausgeführt werden können.“ Für artec AIS war der Auftrag zwar mit Blick auf die Dimension der Armaturen und den Umsatz nicht der größte in der Firmengeschichte, aber ein ganz bemerkenswerter. „Groß war vor allem das Medienecho, weil es sich um ein so bekanntes Projekt handelt“, erklärt Geschäftsführer Christopher Schröder.
Russische Glücksgefühle
Armaturenhersteller dürfen auf weitere lukrative Aufträge beim Pipelinebau hoffen. Etwa bei der South Stream. Deren treibende Kraft, der russische Gasriese Gazprom, darf einen weiteren Erfolg feiern: Denn der Bau der South Stream startete bereits, und ab 2015/2016 sollen die Röhren russisches Gas aus der östlichen Schwarzmeer-Region nach Ungarn, Österreich sowie Griechenland und Italien leiten. Ab 2018 könnte die komplette Lieferkapazität von 63 Milliarden Kubikmetern bei Bedarf erreicht werden. Nach Schätzungen sollen die Kosten für vier Stränge, bei einer Streckenlänge von 2.446 Kilometern, bei knapp 16 Milliarden Euro liegen.
Auch die South Stream wird die Ventilhersteller herausfordern. Die Pipeline wird auf einer Länge von 900 Kilometern durch das Schwarze Meer gelegt – und das stellenweise mehr als 2.000 Meter tief. Die Folge: Bei sehr langen Subsea-Abschnitten werden höhere Betriebsdrücke gefahren. Das macht höhere Pipelinewandstärken und für höhere Druckstufen ausgelegte Armaturen notwendig.
Nabucco oder TAP?
Russland scheint mit Nord und South Stream beim Pipeline-Wettlauf um die Gastransporthoheit nach Westeuropa auf ganzer Linie zu triumphieren. Denn das von der EU unterstützte Pipeline-Projekt Nabucco, das Gas aus dem Kaspischen Meer nach Europa transportieren und gleichzeitig Russland umgehen soll, erlebt eine Zitterpartie. Mancher Experte sieht keine Chance mehr für das Projekt, denn Konkurrent South Stream scheint enteilt, während Nabucco noch nicht einmal genügend Lieferverträge mit Gasförderern besitzt. Nicht mehr an den Erfolg scheint RWE zu glauben. Der deutsche Stromkonzern stieg aus.
Chancenlos ist mittlerweile die große Nabucco-Route nach Österreich mit einer Länge von 3.300 Kilometern ab der östlichen Türkei, deren Inbetriebnahme für 2017 vorgesehen war. „Die Ursprungsversion der klassischen Nabucco-Pipeline ist für uns vom Tisch“, erklärt BP-Manager und Sprecher des Shah-Deniz-Konsortiums Conn. Stattdessen ist nur noch die Rede von einer deutlich kürzeren Version, die erst an der türkischen Grenze begänne und 1.300 Kilometer lang wäre. Zu groß und zu teuer sei die große Nabucco-Version ausgelegt, heißt es weiter – die Rede war zuletzt von 15 Milliarden Euro Kosten. Es würden für den europäischen Markt lediglich Kapazitäten von jährlich zehn Milliarden Kubikmeter Gas benötigt – statt 31 Milliarden Kubikmeter, die die ursprüngliche Nabucco-Version ermöglichen würde. Nur wenn die EU die restlichen 21 Milliarden Kubikmeter subventionieren würde, wäre auch der große Wurf umsetzbar.
Aber es läuft denkbar ungünstig für Nabucco – auch deswegen: Zur kürzeren Nabucco-Version gibt es das Konkurrenzprojekt TAP (Transadriatische Pipeline), das über Griechenland durch die Adria nach Italien verliefe. Wer das Nachsehen hat, soll sich im Juni 2013 entscheiden.
Nabucco oder TAP werden möglicherweise gebaut, und es gäbe weitere Aufträge für die Armaturenbranche, die sich aber von denen der beiden jüngsten Pipeline-Großprojekte Russlands unterschieden. Die Auslegung der Ventile bei Nabucco wäre vermutlich weniger anspruchsvoll als bei Nord und South Stream, da die Pipeline, die den klangvollen Namen einer Oper Verdis trägt, über Land ginge und kein Meer- oder Seewasser durchqueren müsste.
Russisches Öl für China und die USA
Auf keinen Fall wird jedenfalls Russland in die Röhre gucken. Und das nicht nur wegen Nord und South Stream. Auch nach China, Japan und die USA wird gepumpt, dieses Mal aber Öl. Das letzte Teilstück der insgesamt 4.700 Kilometer langen und umgerechnet gut 20 Milliarden Euro teuren Ostsibirien-Pazifik-Pipeline (Espo) wurde fertiggestellt, sie ist damit die größte der Welt und hat eine Kapazität von jährlich 50 Millionen Tonnen Öl. Vor allem China hatte darauf gedrängt statt bisher 15 Millionen 22 bis 30 Millionen Tonnen zu erhalten. 35 Prozent des Öls gehen an die USA. Damit gelingt es Russland, den amerikanischen Markt in großem Stil zu erreichen.
Apropos USA. Was den Rohöl-Export betrifft, ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten eine Insel. Denn in den USA sind seit Mitte der 1970er Jahre Rohölexporte per Gesetz grundsätzlich verboten, Ausnahmen werden nur bei zum Beispiel nationalem Interesse genehmigt. Generell erlaubt sind nur Exporte von Mineralölprodukten.
Kein Grund für die USA, Trübsal zu blasen. Denn mit dem verstärkten Einsatz des Frackings, durch das möglich wird, bislang unerreichbare Öl- und Gasvorkommen zu fördern, erleben die Vereinigten Staaten eine imposante Rückkehr zur Energie-Stärke. Laut einer Studie der Internationalen Energieagentur IEA werden die USA ab 2020 wieder zum größten Ölproduzenten der Welt aufsteigen, 2015 soll das Land Spitzenreiter Russland beim Erdgas überbieten. Doch die Zeiten werden sich beim Gas wohl peu à peu ändern. Erste US-Unternehmen streben Ausfuhrlizenzen für LNG an. Den Armaturenunternehmen kann die einsetzende Entwicklung nur recht sein. Denn an den Empfangs- und Abgabeterminals, in Verflüssigungs- und Verdampfungsanlagen sowie in den Speichertanks wird die Ab- und Zufuhr von LNG per Ventil geregelt. Absperr- und Sicherheitsarmaturen sorgen für den reibungslosen Storm. Auch der Transport per Tanker erfordert Ventile, etwa für Gas, das entweichen muss, damit Druck und Temperatur konstant bleiben. Die Anforderungen durch Drücke und Temperaturen sind hoch. Fire-Safe-Armaturen für Tanker und Terminals sind unverzichtbar.
Schlummernder Riese US-Gasexport
Erdgas in den USA ist extrem billig, was es für andere Staaten sehr attraktiv macht. Und mit Hilfe von LNG könnten die Vereinigten Staaten in den Gasexport einsteigen und wären nicht mehr durch fehlende Pipeline-Verbindungen zu Europa und Asien abgeschnitten. Doch das wird Zeit brauchen. Daher ist die Stärke Russlands bei der Gaslieferung wohl zunächst nicht gefährdet. Was im Moment aber für das größte Land der Welt zählt, ist der Erfolg von Nord und South Stream.