Zwei Millionen Tonnen Wasserstoff dank Pipeline „H2Med": Wie profitiert die deutsche Industrie?

Nun ist es offiziell: Die Pipeline H2Med wird der erste grüne Wasserstoffkorridor nach Deutschland. Bekräftigt wurde dies von Vertretern der Europäischen Union und der Regierungen Deutschlands, Frankreichs und Spaniens am 18. Oktober auf der Veranstaltung "H2Med, ein Beispiel für europäische Energiekooperation". Neben den Fernleitungsnetzbetreibern Enagás (Spanien), GRTgaz und Teréga (Frankreich) und REN (Portugal) wird nun die deutsche OGE neuer Partner im Projekt. Was hat es mit der Hoffnungs-Pipeline auf sich, und welche Chancen bietet sie für die deutsche Industrie?

Kaum ein Thema bewegt die Industrie stärker als die hohen Energiepreise. Gleichzeitig ist die Branche weiterhin bestrebt, ihre Prozesse zu dekarbonisieren und nahhaltiger zu werden. Vielen gilt grüner Wasserstoff hier als Energieträger der Zukunft. Doch woher sollen die erforderlichen Mengen kommen? Und wie viel kostet das grüne Gas, wenn es einmal da ist? Um nicht wieder in eine Energiepreisspirale zu gelangen, sind kilometerlange Pipelines notwendig, die ganz Europa durchziehen und den Wasserstoff schnell und kostengünstig aus Regionen mit günstigen Herstellungsbedingungen in Regionen mit hoher Nachfrage transportieren. Die „H2Med“-Pipeline wird nun sehr wahrscheinlich das erste Beispiel für einen solchen „Wasserstoffkorridor“ nach Deutschland.

H2Med könnte eine von mehreren Pipelines werden, die Deutschland mit Wasserstoff aus dem Ausland versorgen (Quelle: enagas)

Der erste „grüne Korridor“ Europas

H2Med soll in Südeuropa, vor allem Spanien und Portugal grün produzierten Wasserstoff transportieren und damit nordwesteuropäische Länder versorgen. In der spanischen Botschaft in Berlin unterzeichnete der in Essen ansässige Fernleitungsnetzbetreiber OGE nun eine Absichtserklärung, der zufolge er das Projekt auf deutscher Seite vorantreibe. In der offiziellen Presseerklärung der beteiligten Netzbetreiber heißt es, dass auch die bei der Unterzeichnung anwesenden Vertreter der EU sowie der Regierungen Deutschlands, Frankreichs und Spaniens ihrer Unterstützung für H2Med erneut Ausdruck verliehen hätten. Es sei der erste groß angelegte „grüne Korridor“ Europas.

Frank Reiners, CFO von OGE, führte aus: „Eine Wasserstoffpipeline, die Portugal, Spanien, Frankreich und Deutschland verbindet, ist mehr als nur ein wichtiger Wasserstoffimportkorridor. Sie ist die Brücke in eine nachhaltige Zukunft. Sie verbindet die effizientesten Regionen für die Wasserstoffproduktion mit jenen, in denen er am meisten gebraucht wird, sie fördert die internationale Zusammenarbeit, macht das Potenzial sauberer Energie für den Fortschritt nutzbar und vereint unsere Länder in einem gemeinsamen Bestreben: das europäische Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen."

Bis zu 2 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr

Schätzungen zufolge belaufen sich die Kosten für den Bau der Pipeline auf 2,5 Milliarden €. Sie soll ab 2030 bis zu zwei Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr nach Nordwesteuropa transportieren können – als Profiteur gilt vor allem Deutschland. Die Gesamtmenge entspräche rund zehn Prozent des geschätzten europäischen Gesamtbedarfs, den Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Dezember 2022 auf 20 Millionen Tonnen bis zum Jahre 2030 beziffert hat. Davon soll die Hälfte in der Europäischen Union produziert werden, während der Rest aus dem außereuropäischen Ausland importiert wird.

Wasserstoff-Importe für die deutsche Industrie

In der deutschen Energiepolitik ist das Gas spätestens seit Veröffentlichung der Nationalen Wasserstoffstrategie im Sommer 2020 ein brennendes Thema. Die Bundesregierung geht davon aus, dass der nationale Wasserstoffbedarf im Jahr 2030 bei bis zu 110 TWh liegen wird. Einen Teil sollen Elektrolyseuranlagen inländisch produzieren, Experten verorten das Potenzial bei rund 14 TWh. Schätzungen zufolge müssen zwischen 50 und 80 % des Wasserstoffbedarfs demnach importiert werden. Erschwert wird die Beschaffung durch den in Deutschland vorherrschenden und in der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie im Juli 2023 weitestgehend bekräftigten Wunsch, primär CO2-neutral produzierten „grünen“ Wasserstoff zu nutzen.

Der BDI schreibt in einem Dossier zum Thema, dass Deutschland neben dem Ausbau der heimischen Elektrolysekapazitäten ein Transportnetz für Wasserstoff schaffen und internationale Energiepartnerschaften eingehen solle. Insofern steht die Bekanntmachung der Netzbetreiber durchaus im Einklang mit den Forderungen der Industrie.

Spanische Wasserstoffpläne

Weltweit planen Staaten die Errichtung großer Kapazitäten zur Produktion von grünem Wasserstoff. Besonders geeignet sind windreiche Regionen wie Schottland und Skandinavien oder sonnenreiche Gebiete, wie es sie in Australien, Afrika oder Südeuropa gibt.

Insbesondere Spanien macht seit geraumer Zeit als künftiger Wasserstoff-Großexporteur von sich reden. Ende 2022 verkündete das Unternehmen Cepsa, zwei neue Wasserstoffanlagen mit einer Gesamtkapazität von 2 GW in Betrieb nehmen zu wollen. Sie sind Teil des "Green Hydrogen Valley" in Andalusien, das bis 2026 als größter Produktionsstandort für grünen Wasserstoff Europas entstehen soll.

Anlässlich der Bekanntmachung hatte Ministerpräsident Pedro Sánchez gesagt, dass Spanien mit Wasserstoff „ein Energieexportland" werden könne. Schätzungen der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien (IRENA) zufolge wird grüner Wasserstoff in Spanien ab 2026 billiger sein als konventionell hergestellter "grauer". Der Grund sind die niedrigen Kosten für erneuerbar produzierten Strom. Diese liegen bei rund einem Cent pro kWh.

Die Wasserstoff-Roadmap erhält von der spanischen Regierung daher großzügige Investitionen von bis zu 8,9 Mrd. €. 2030 soll die Elektrolysekapazität 4 GW betragen.

Geschichte eines Pipeline-Projekts

Die H2Med-Pipeline ist Ausdruck des französischen Bestrebens, an den in Spanien und Portugal produzierten Mengen grünen Wasserstoffs zu partizipieren. Dabei sollten die Energielieferungen zwischen den südeuropäischen Staaten bis vor kurzem eher verringert werden.

2019 hatte die französische Regierung bekanntgegeben, den Bau der 190 km langen Erdgas-Pipeline "MidCat" (Midi Catalogne) zwischen Barcelona und Carcassonne abbrechen zu wollen. Zu teuer, zu unzeitgemäß sei das bereits 2013 begonnene Projekt.

Mit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs und den ausbleibenden Erdgaslieferungen aus Russland wurde die Idee einer spanischen-französischen Pipeline wieder interessant. Im Oktober 2022 verkündeten Paris und Madrid, das Vorhaben unter dem Namen "BarMar" fortzusetzen. Die neue Pipeline würde allerdings nicht wie ursprünglich geplant die Pyrenäen passieren, sondern als Untersee-Pipeline durchs Mittelmeer Barcelona mit Marseille verbinden.

Im Dezember gaben der spanische Präsident Sánchez und Macron bekannt, dass "BarMar" in „H2Med" umbenannt wird. Der neue Name soll den Fokus darauf lenken, dass hauptsächlich Wasserstoff durch die bis zu 476 km lange Pipeline fließen soll. Dem französischen Industriemagazin L'usine nouvelle zufolge werden die Bauarbeiten 2026 beginnen.

Ab 2030 könnte dann grüner Wasserstoff aus den sonnenreichen Regionen Südspaniens über Frankreich in die energiehungrigen Industriezentren Deutschlands fließen. Dass sie auch von dem Wasserstoff des grünen Korridors profitieren kann, wurde im Januar 2023 anlässlich der Feierlichkeiten zum Jubiläum des Élysée-Vertrags in Paris bekanntgegeben.

Neue Absatzchancen für die deutsche Industrie

Der VDMA weist darauf hin, dass die neue Wasserstoffpipeline nicht nur eine Rohstoffquelle, sondern auch neue Absatzchancen für die Prozesstechnik eröffnet. Im September 2022 hatte der Verband eine Studie zur Evaluation der Wasserstoffwirtschaft aus Sicht des Anlagenbaus in Auftrag gegeben. Fazit: der Markt für Wasserstoff-Technologien bietet "erhebliches Geschäftspotenzial", ganze Lieferketten seien im Entstehen begriffen.

Die Investitionen in wasserstofftaugliche Anlagen und Komponenten könnten erheblich zunehmen. Absatzfelder entstehen dabei durch den möglichen Verkauf von Ausrüstung entlang der gesamten Wasserstoff-Wertschöpfungskette: Produktion, Transport, Speicherung, Vertrieb und Anwendungen, u.a. im Mobilitäts- und Energiesektor. Allein der europäische Markt für Elektrolyseur-Ausrüstung soll 2030 einen Umfang von 6 bis 10 Mrd. € umfassen. Das tatsächliche Volumen hängt davon ab, wie sich die Kosten entwickeln und wie viele Projekte umgesetzt werden. Die Studie ist online kostenlos abrufbar.

Vor diesem Hintergrund ist es ein gutes Signal für die Industrie, wenn Kapazitäten für den Wasserstoffimport nach Deutschland entstehen. Je mehr Wasserstoff verfügbar ist, desto größer ist das Absatzpotenzial für geeignete Ausrüstung.

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