Wie CCS der Rohrindustrie neue Chancen eröffnet

Carbon Capture and Storage (CCS) ist eine vieldiskutierte Methode für den Umgang mit CO2-Emissionen in der Industrie. Während Befürworter die Abscheidung und Einspeicherung von CO2 als sinnvollen Weg zur Dekarbonisierung sehen, verweisen Kritiker auf die hohen Kosten und ökologischen Risiken des Prozesses. Auch für die heranwachsende Wasserstoffwirtschaft ist CCS ein Thema: „Blauer" Wasserstoff entsteht, indem man das bei der konventionellen H2-Produktion anfallende CO2 abscheidet. Die Methode soll Wasserstoff nicht nur günstig, sondern vor allem schnell bereitstellen. Doch wie genau entsteht bei der H2-Herstellung CO2, und wie lässt es sich transportieren und einlagern? Für die Rohrindustrie ist die Frage von höchster Relevanz, da der Pipelinetransport von CO2 neue Märkte eröffnet.

Die fossile Produktion von Wasserstoff ist äußerst CO2-intensiv (Bild: Yellow Boat – stock.adobe.com)

Bei der konventionellen Produktion von Wasserstoff aus Erdgas entstehen pro Tonne Wasserstoff etwa 9-10 Tonnen CO2. Dieses CO2 muss abgeschieden, transportiert und gespeichert werden, damit der graue Wasserstoff „blau“ wird. Blauen Wasserstoff bezeichnen viele Experten als Übergangslösung oder Brückentechnologie. Die Idee dahinter: Bis große Kapazitäten zur Produktion von erneuerbarem oder „grünen" Wasserstoff vorhanden sind, kann blauer Wasserstoff genutzt werden, um Infrastrukturen für den Wasserstofftransport wie das Kernnetz frühzeitig zu befüllen.

Für einige Akteure geht seine Rolle noch darüber hinaus: Sie sehen blauem Wasserstoff als idealen Grundlastlieferanten für dekarbonisierte Industrieprozesse und damit festen Bestandteil des künftigen Energiesystems. Nina Scholz, Country Manager Germany bei Equinor, erklärte auf dem BDEW-Kongress 2025: „Blauer Wasserstoff steht 24 Stunden, 7 Tage die Woche zur Verfügung. Der CO2-Fußabdruck ist nicht null, aber das meiste kann abgeschieden werden – wir reden von 95 bis 98 Prozent Abscheiderate, nur 2 bis 5 Prozent bleiben übrig."

Das hohe Interesse am blauen Wasserstoff verstärkt das ohnehin hohe Interesse an CCS. Anfang Oktober wurde das Thema bereits in einem Artikel behandelt (https://www.wire.de/de/Media_News/News/Themen/Dekarbonisierung_und_Wertsch%C3%B6pfung_Weichen_f%C3%BCr_CO2-Transport_sind_gestellt). Im Folgenden soll daher vor allem die Rolle von CCS für den Wasserstoffhochlauf beleuchtet werden.

Dampfreformierung mit partieller Oxidation, CO-Konvertierung und Kohlenstoffdioxidabsorption. 1) Zufuhr von Methan, 2) Zufuhr von Wasser, 3) Primärreformer, 4) Zufuhr von Luft, 5) Sekundärreformer, 6) Katalysator, 7) Kompressor, 8) Wäscher (Bild: Wikipedia Creative Commons)

Technische Grundlagen: Wo entsteht CO₂ bei der Wasserstoffproduktion?

Die Produktion von blauem Wasserstoff basiert auf der Dampfreformierung von Erdgas, dem weltweit dominierenden Verfahren zur Wasserstofferzeugung. Dabei wird Erdgas bei hohen Temperaturen mit Wasserdampf zur Reaktion gebracht. Das Besondere: Bei diesem Prozess entsteht zwangsläufig CO2 – und zwar in großen Mengen.

Der Clou für die CCS-Technologie: Das CO2 fällt hochkonzentriert an, was die Abscheidung erleichtert und wirtschaftlicher macht als bei vielen anderen industriellen Prozessen.

In Pipelines lässt sich CO2 kostengünstiger und schneller transportiert werden als in Flüssigtanks (Quelle: Reinhard Tiburzy – stock.adobe.com)

CS-Integration: Von der Abscheidung zur Speicherung

Nach der Wasserstoffproduktion liegt das CO2 in zwei Hauptströmen vor: einem konzentrierten Strom aus der Gasaufbereitung und einem verdünnteren aus den Verbrennungsprozessen zur Wärmeerzeugung. In modernen Wasserstoffanlagen übernimmt hauptsächlich die Druckwechseladsorption (PSA) die CO2-Abtrennung. Die PSA dient eigentlich der Wasserstoffreinigung und erreicht dabei eine H2-Reinheit von 99,9%. Als "Nebenprodukt" entsteht dabei ein CO2-reicher Abgasstrom.

Für die Produktion von blauem Wasserstoff muss das CO2 aus diesem Abgas sowie aus den bei der Erdgas-Verbrennung entstehenden Rauchgasen abgeschieden werden. Dabei können verschiedene Verfahren zum Einsatz kommen, die mit speziellen Membranen oder Chemikalien arbeiten (Aminwäsche). Nach der Abscheidung wird das CO2 komprimiert und für den Transport vorbereitet. Die gängigste Methode ist die Verflüssigung, da sich hierbei das CO2-Volumen drastisch reduziert.

Zum Transport stehen dann verschiedene Optionen zur Verfügung – von Tankschiffen über Bahnwaggons bis hin zu Lkw. Alternativ kann das CO2 auch komprimiert und dann gasförmig in Hochdruckpipelines transportiert werden. Dieser Weg ist aus regulatorischen Gründen aber noch unüblich, vor allem in Deutschland fehlen bislang Gesetze, die den CO2-Transport in Pipelines ermöglichen.

Equinors geplanter CO2-Highway (Quelle: Equinor)

Die Pipeline als „Königsweg“ für den CO2-Transport

Ein praktisches Beispiel verdeutlicht die Dimensionen: Ein durchschnittliches Zementwerk produziert täglich 4.000 Tonnen CO2. Würde man diese Menge per Bahn transportieren, wären täglich vier komplette Güterzüge mit je 36 Tankwaggons nötig. Per LKW wären sogar 200 Fahrten täglich erforderlich.

Eine Pipeline transportiert dieselbe Menge kontinuierlich und ohne Unterbrechung. Die weiteren Vorteile des Transports liegen auf der Hand: Der Verkehr wird nicht zusätzlich belastet und es entstehen keine Lärm- oder Schadstoffemissionen. Zudem ist der Transport kostengünstiger und weniger anfällig für Unfälle.

Equinor plant mit dem "CO2 Highway Europe" eine solche Pipeline-Verbindung von mehreren europäischen Hafenstädten direkt zu den Speicherfeldern in der Nordsee. Bis zu 18 Millionen Tonnen CO2 will der norwegische Konzern so ab 2030 pro Jahr transportieren und einspeichern.

Speicherung unter der Nordsee

Das CO₂ wird anschließend in unterirdische Gesteinsschichten gepresst, typischerweise in 800-3.000 Meter Tiefe. Bevorzugt werden ausgeförderte Erdgasfelder unter der Oberfläche der Nordsee, da diese als besonders dicht gelten. Alternativ kommen salzwasserführende Gesteinsschichten (saline Aquifere) in Frage, die ebenfalls sehr dicht sind und ein hohes Speichervolumen besitzen.

Langfristig passieren danach zwei Dinge: Das CO₂ löst sich im Salzwasser und wird dadurch schwerer als Wasser, sinkt also nach unten. Über Jahrzehnte hinweg reagiert es anschließend mit dem umgebenden Gestein und versteinert allmählich (Mineralisierung). Undurchlässige Deckschichten, oft mehrere Kilometer dick, sollen währenddessen ein Entweichen des Gases an die Oberfläche verhindern.

Plan für Northern Lights (© Equinor)

Praxisbeispiel: Northern Lights: CO2-Abscheidung aus einem Zementwerk als Vorbild für blauen Wasserstoff?

Im Sommer 2025 soll Northern Lights als erstes kommerzielles CO₂-Speichersystem Europas seine Arbeit aufnehmen. Die erste Phase des Projekts verfügt über eine Speicherkapazität von 1,5 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr in 2.600 Meter Tiefe unter dem Meeresboden. Der Transport erfolgt über eine Distanz von über 100 Kilometern von der Küste zu den Speicherstätten. Als erster Kunde konnte ein Zementhersteller gewonnen werden, dessen Werk jährlich 1,3 Millionen Tonnen CO₂ produziert.

Das CO₂ soll abgeschieden und bei minus 50°C und 7 bar verflüssigt und in speziellen Tankschiffen transportiert werden. Über eine 160 Kilometer lange Pipeline wird das CO₂ vom Landterminal zu den Injektionsbohrungen geleitet und in die Sandstein-Formation eingepresst. Kontinuierliche Überwachung mittels Seismik, Druckmessungen und geochemischer Analysen sollen dabei eine sichere langfristige Speicherung gewährleisten.

Neue Marktperspektiven für CO2-Infrastruktur

Sollten Pionier-Vorhaben wie Northern Lights erfolgreich sein, dürfte dies das Interesse am blauen Wasserstoff enorm steigern. Tatsächlich könnte der Hochlauf der europäischen Wasserstoffinfrastruktur so von einem parallelen Hochlauf einer europaweiten Infrastruktur für den CO₂-Transport begleitet werden. Dadurch eröffnen sich der Rohr- und Anlagenbauindustrie völlig neue Marktperspektiven, denn die neuen Pipeline-Netzwerke erfordern spezialisierte Rohrleitungen, Verdichterstationen und Mess-Regeltechnik.

Anders als Erdgas kann CO2 in Verbindung mit Wasser korrosive Säure bilden. Dies erfordert den Einsatz hochlegierter Stähle sowie spezieller Innenbeschichtungen. Die Rohre müssen zudem dickwandig ausgelegt werden, um Betriebsdrücken von 80 bis 150 bar standzuhalten. Darüber hinaus sind neue Regelarmaturen erforderlich, die mit den CO2-spezifischen Phasenübergängen umgehen können. Ein besonders interessantes Feld ist das Retrofitting, also die Umrüstung bestehender Gasnetze. Teile der existierenden Erdgas-Infrastruktur können für den CO2-Transport um- oder nachgerüstet werden.

Fazit: Blauer Wasserstoff als strategische Weichenstellung

Für die Rohrindustrie sind blauer Wasserstoff und das dazugehörige CCS mehr als nur eine technische Herausforderung – sie sind eine strategische Weichenstellung. Unternehmen sollten frühzeitig entscheiden, ob sie in Expertise und Kapazitäten investieren.

Was fehlt, damit Abscheidung und Transport von CO2 in Deutschland in Gang kommen, ist ein regulatorischer Rahmen. Während europäische Nachbarländer bereits CO2-Speicherfelder erschließen, arbeitet die Bundesrepublik noch an den gesetzlichen Grundlagen: Die Ampel-Koalition hatte bereits eine Carbon Management Strategie vorbereitet, die aufgrund des vorzeitigen Koalitions-Aus aber nicht mehr verabschiedet wurde. Die kommenden Jahre werden daher darüber entscheiden, ob die deutsche Industrie die Marktchancen noch hinreichend nutzen kann. Eine Umsetzung der gleichsam in der Schublade liegenden Carbon Management Strategie und die dazugehörige Novelle des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes sind hier erste Schritte.

Die wire & Tube 2026 wird diese und viele weitere Entwicklungen beleuchten. Vom 13. bis 17. April 2026 präsentieren führende Unternehmen der Rohr- und Anlagenbauindustrie in Düsseldorf ihre Lösungen für die Energieinfrastrukturen der Zukunft. Weitere Informationen unter: https://www.tube.de/

Quellen und weiterführende Informationen

DIHK-Faktenpapier Wasserstoff: https://www.dihk.de/resource/blob/24872/fd2c89df9484cf912199041a9587a3d6/energie-dihk-faktenpapier-wasserstoff-data.pdf

Fachverband DIE GAS- UND WASSERSTOFFWIRTSCHAFT - Herstellungsarten von Wasserstoff: https://gas-h2.de/wasserstoff/herstellung-wasserstoff/

Umweltbundesamt: Carbon Capture and Storage: https://www.umweltbundesamt.de/themen/wasser/gewaesser/grundwasser/nutzung-belastungen/carbon-capture-storage

Equinors CO2-Highway: https://www.equinor.com/energy/co2highwayeurope

Northern Lights Projekt: https://norlights.com/what-we-do/

CO2-Netz von OGE: https://oge.net/de/co2/co2-netz