Es gilt, die Transformation des Industriestandortes Deutschland voranzutreiben. Die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine – einhergehend mit steigenden Energiepreisen – verschärfen dabei die kommenden Herausforderungen. stahl. sprach mit Uwe Reinecke, Werksdirektor der ESF Elbe-Stahlwerke Feralpi GmbH, über die Umstellung auf Wasserstoff, die Bedeutung von Stahlschrott und zukünftige Investitionsprojekte.
stahl.: Ihr Unternehmen hat im Rahmen der Dekarbonisierungsstrategie sogar einen Nachhaltigkeitsausschuss eingesetzt. Welche Rolle spielt dieser?
Uwe Reinecke: Das ist ein Projekt für alle Werke der Feralpi-Gruppe. Hier beschäftigen wir uns sehr intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit – auch mit Unterstützung der Universität in Mailand. Wir haben eine Boardstruktur sowie eine Projektstruktur etabliert, die Vertreter von allen Werken involviert. Dort wird unter den Gesichtspunkten Umwelt, soziale Nachhaltigkeit und Governance zusammengearbeitet. Mit diesen Themen beschäftigen wir uns seit einigen Monaten intensiv. Wie erfolgt nach der Beratung durch den Ausschuss die operative Umsetzung? Beim Thema Umwelt sind wir beispielsweise dabei, neben den bestehenden Key-Performance-Indicators noch weitere zu entwickeln, um weiterhin die CO2-Emissions-Reduzierung – also die Dekarbonisierung – zu begleiten. Stichwort ist hier Effizienz.
Wie gehen Sie mit der aktuell problematischen Gasversorgung um?
Die Situation bereitet uns definitiv Sorgen. Viele von unseren Markteilnehmern – uns inklusive – können noch nicht auf Gas verzichten. Mittelfristig können wir Gas durch Wasserstoff, besser noch grünen Wasserstoff, substituieren. Es muss aber erst die Infrastruktur aufgebaut werden. Bei uns in Meißen haben wir auf Sachsen bezogen die dichteste Industriearbeitsplatzquote. Im Februar 2022 haben wir die Energie- und Wasserstoffallianz im Industriebogen Meißen gegründet. Sie vernetzt den Landkreis Meißen, Kommunen, Verbände und Unternehmen zum Thema Energiewende. Zu den rund zehn Unternehmen in der Allianz zählen, neben uns, die Wacker Chemie AG in Nünchritz, die Mannesmann Röhrenwerke, die Schmiedewerke Gröditz, die Großenhainer Gesenk- und Freiformschmiede und das Stahlwerk Ervin. Wir haben mit den Unternehmen der Ontras Gastransport GmbH, die die Pipelineplanung macht, angezeigt, dass wir ziemlich starke Gasverbraucher sind. Damit sind wir auch potenzielle Wasserstoffverbraucher. Wir haben es geschafft, dass die Pipeline bis 2027 nicht nur bis nach Leipzig geht, sondern bis Mühlberg an der Elbe verlängert wird. Dann geht es noch um 44 Kilometer lokales Netz, das geschaffen werden muss. Das Land Sachsen hat bekräftigt, dass bis 2027 ein Anschluss an die Leitungsstruktur gegeben sein wird. Aber vor
2027 wird es schwierig werden, Gas zu ersetzen. Wir können zum Beispiel über Hybridöfen nachdenken. Das ist aber bei unserem bestehenden Walzwerk ziemlich schwierig. Dort arbeiten wir mit einem alten gasbetriebenen Ofen, den wir noch ca. vier Jahre haben werden. Danach geht es in die Neuinvestition, aber dann sind wir schon im Jahr 2026 bzw. 2027. Dann werden wir den Ofen wahrscheinlich mit Induktiverwärmung kombiniert mit Wasserstoff betreiben.
Wird dieser Wasserstoff von Ihnen dann selbst produziert?
Da sind wir mit der SachsenEnergie – dem lokalen Energieversorger – im Gespräch. Neben dem Anschluss an die Infrastruktur sollen auch Elektrolyseanlagen gebaut werden, die Wasserstoff dann dezentral erzeugen. Aber es müsste grüner Wasserstoff sein. Wenn man die Windräder betrachtet, die entfernt oder wieder zugebaut wurden, hat Sachsen im letzten Jahr im Saldo eine Windkraftanlage dazugewonnen. Sie sehen den langen Genehmigungsprozess. Dann hat Sachsen die 1.000 Meter Abstandsgrenze zu bebauten Flächen beschlossen. Ich denke, hier muss die Politik noch viel tun, damit der gesellschaftliche Auftrag, den der Wähler erteilt hat, umgesetzt werden kann. Ich habe die Sorge, dass es in der Bevölkerung heißt, es entstünden Windkraftanlagen nur wegen der Industrie. Das ist für mich die falsche Formulierung. Die Industrie begleitet den Transformationsprozess – gewollt haben wir das mehrheitlich, als Wähler. Ich bin gespannt, denn das Thema birgt sozialen Zündstoff. Flächen gibt es zwar im Landkreis Meißen genug, aber es ist offen, wie die Kommunen und die Bürger damit umgehen.
In Ihrer Unternehmensstrategie stehen Nachhaltigkeit und Internationalisierung weit vorn. Wie setzen Sie diese Punkte gemeinsam um, ohne die Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren?
Von der Marktseite sind wir sehr stark in Deutschland, den Benelux-Ländern und Osteuropa tätig. Dort fängt es bereits an, denn einige Länder in Osteuropa sehen die Notwendigkeit der Energiewende noch nicht. Ich denke, seitens der EU müssen die Rahmenbedingungen schärfer werden. Dies muss die Bundesregierung forcieren. Für uns ist zum Beispiel das Thema Schrottausfuhr außerhalb der EU relevant. Der Rohstoff Schrott dürfte eigentlich nicht in Regionen gehen, wo grauer Stahl hergestellt wird. Es wird in Länder exportiert, beispielsweise in die Türkei, die noch weit weg sind von der
grünen Stahlproduktion.
Woraus ergibt sich Ihre Recyclingquote von 93 Prozent?
Einmal durch den hundertprozentigen Rohstoff Schrott der zur Stahlerzeugung im Elektrolichtbogenverfahren eingesetzt wird. Aber wir arbeiten – und das gehört auch zur Nachhaltigkeit – an einem Zero-Waste-Konzept. Wir überlegen also, welche Nebenprodukte bei der Stahlerzeugung weiter als recyclingfähiges Vormaterial verwertet werden kann. Das Thema schwarze und weiße Schlacke ist wichtig, wobei hier die öffentliche Hand noch viel tun muss. Beispielsweise könnte schwarze Schlacke vermehrt als Hüttensand in der Zementindustrie eingesetzt werden, oder aber als Baustoff im Tiefbau der Straßenindustrie. Gerade hier kämpfen wir gegen die Natursteinlobby, die Steinbrüche in die Landschaft baut. Naturstein tritt in Ausschreibungen häufiger auf als der Wertstoff Schlacke. Bei der weißen Schlacke gibt es Potenziale durch den hohen Kalkgehalt. Sie kann so aufbereitet werden, dass die Verwendung als Düngemittel möglich ist.
Bei Schlacke bleibt das Verwertungsproblem?
Insgesamt haben wir verschiedene Klassen von Schlacken. Es wird nicht leichter mit der Ersatzbaustoffverordnung, die im nächsten Jahr gelten wird. Dann werden die Schlacken entsprechend anders eingestuft. An diesem Prozess arbeiten wir auch metallurgisch, damit mehr Eisen aus der Schlacke rausgeht. Das Eisen können wir dann wieder im Ofen als Rohstoff zuführen. Die Schlacke ist dann weniger eisenhaltig und findet häufiger Verwendung als Rohstoff im Straßenbau.
Sie denken das Thema also im Rahmen Circular Economy?
Ziel ist es, an den Nullpunkt heranzukommen und die anfallenden Nebenprodukte der Stahlproduktion wieder stärker einzusetzen. Aber dafür muss auch die Politik viel tun und es muss ein anderes Denken in der Öffentlichkeit stattfinden. Es sind nicht zwingend Negativstoffe, die bei der Stahlproduktion anfallen.
Wie gehen Sie mit den schwankenden Preisen der Stahlschrotte im internationalen Vergleich um?
In den letzten zwei Monaten gehen die Stahlschrottpreise extrem nach unten. Damit fallen natürlich auch die Stahlpreise. Wir haben das Problem der Versorgungssicherheit, aber nicht, weil es zu wenig Stahlschrott gibt, sondern beim Transportweg. Bahntransporte, beispielsweise bei Fertigprodukten, die wir ausliefern, bereiten uns durch vielen Baustellen große Sorge. Auch die Verfügbarkeit von Güterwagen ist schlecht. Wir haben manchmal Züge, die zwei oder drei Wochen verschollen sind und dann wieder aus dem Nichts auftauchen. Die müssten eigentlich innerhalb von vier oder fünf Tagen aus Italien den Weg nach Deutschland finden. Es besteht also ein Transportproblem – auch bei der LKW-Verfügbarkeit. Wir merken, dass es durch den schlimmen Krieg in der Ukraine viel an Fahrpersonal fehlt.
Haben Sie konkrete zeitliche Ziele bei der Umstellung auf Grün?
Wie gesagt, beim Wasserstoff reicht die Zeitleiste bis 2027. Wir arbeiten konsequent an der CO2-Reduzierung. Wir sind bei unserem Stahlwerk bei momentan 52,5 Kilogramm pro Tonne Stahl. Wenn Sie das Walzwerk dazunehmen, liegen wir bei knapp 80 Kilogramm pro Tonne Stahl. Unsere geplanten Investitionen sind der nächste logische Schritt: In den nächsten vier Jahren investieren wir ca. 180 Mio. € in ein neues Walzwerk mit einem induktiv erwärmten Ofen. Wir versuchen bei grüner Energie selbst als Betreiber von Photovoltaik und Windparks einzusteigen und einen großen Anteil selbst zu produzieren. Außerdem investieren wir in das Medium Schrott, sodass wir die Schrottaufbereitung noch sauberer und stückiger machen. So können wir mit weniger Körben in den Ofen fahren. Damit erzielen wir bessere Energieeintragwerte beim Stromgewinn im Schmelzprozess. Das sind die zwei Großinvestitionen, neben zwei Infrastrukturinvestitionen, die uns bei dem Thema ‚unser Stahl wird grüner‘ voranbringen.
Sie machen Ihre Infrastrukturellen Veränderungen auch im laufenden Betrieb?
Infrastruktur heißt bei uns in die Erzeugung in erneuerbaren Energien einzusteigen. Es heißt auch – bezogen auf unser Werksgelände – den gesamten LKW-Verkehr zu regeln. Wir haben ca. 500 LKWs, die uns jeden Tag Ware bringen und Produkte heranfahren. Wir haben ein Verhältnis von 70 Prozent Straße zu 30 Prozent Bahn. Wir würden gerne mehr mit der Bahn machen, aber dafür müssten die Voraussetzungen erstmal geschaffen werden.
Was für ein Induktionsofen wird bei Ihnen installiert?
Wir wollen den Ofen, der die Knüppel beim Warmansatz auf Temperatur hält, oder beim Kaltansatz auf die Walztemperatur bringt. Wir möchten auf Induktiverwärmung umstellen. Den Ofen in unserem alten Walzwerk wollen wir in drei bis vier Jahren rausnehmen. Wir denken über einen Hybridofen nach und wollen auch mit einer Induktiverwärmung – hoffentlich mit grünem Strom – und Wasserstoff arbeiten. Das könnte ein Konzept sein, um den Ofen im alten Walzwerk komplett vom Medium Gas zu lösen. Bei der Brennertechnologie gibt es noch viele technische Fragen zu klären. Wenn Sie das Pfannenfeuer nehmen, haben Sie mit Gas einen guten Eintrag in die Pfanne – da geht die Gasflamme ziemlich hoch. Wenn Sie die konventionelle Wasserstoffbrenner nehmen, dann geht der nicht tief genug rein. Hier muss also mit den Brennerlieferanten optimiert werden, um für das Medium Wasserstoff die optimalen Brenner zu erhalten. So sehen das auch unserer Techniker. Was wir schon betreiben ist eine Dampferzeugungsanlage. Die Abwärme im Stahlerzeugungsprozess liefern wir als Dampf den Stadtwerken in Riesa. Damit werden Wohnungen beheizt und auch unser
dortiger Nachbar, ein großes Reifenwerk von Goodyear, nutzt diesen Dampf als Wärmeenergie.
Glauben Sie, dass sich die Anforderungen an die Stähle der Zukunft nochmal ändern werden?
Der Werkstoff Stahl wird sicherlich bezüglich der Festigkeit weiterentwickelt. Auch unser neues Walzwerk geht da in die richtige Richtung. Ein warm aufgespultes Coil – bis zu acht Tonnen schwer – wird auf den Markt gebracht und ersetzt den Kaltumformungsprozess. Wir wickeln also warm auf und brauchen nicht mehr den Draht runternehmen, in eine Reckanlage zu packen, kalt umzuformen, um ihn dann aufzuwickeln. Dadurch können wir Prozessschritte einsparen. Jetzt gilt es, Versorgungssicherheit herzustellen und zu schauen, wie es in den nächsten Wochen und Monaten weitergeht.
Herr Reinecke, herzlichen Dank für das Gespräch!