Klöckner & Co hat sich zum Ziel gesetzt, die führende One-Stop-Shop Plattform für Stahl, andere Werkstoffe, Ausrüstung und Anarbeitungsdienstleistungen in Europa und Amerika und zum Vorreiter für Nachhaltigkeit zu werden – zum Wohle der Kunden, der Stahlindustrie und der Gesellschaft. Bernhard Weiß, CEO Europa der Klöckner & Co SE spricht im Interview mit stahl. über Perspektiven, Digitalisierung des Handels und Wertschöpfungsketten vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und der aktuellen Marktsituation.
stahl.: Aktuell sieht sich der klassische Stahlhandel gleich mehreren Herausforderungen gegenüber: seien es die Corona-Krise, die Digitalisierung des Handels via Plattformen oder unterbrochene Lieferketten. Wie behaupten Sie sich in diesem Multi-Challenge-Szenario und mit welchen Konzepten steuern Sie gegen?
Bernhard Weiß: Die Covid-19-Pandemie stellt uns alle vor große Herausforderungen. Bei Klöckner & Co hat die Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei stets höchste Priorität. Wir haben Hygienekonzepte an unseren Standorten und weitere Sicherheitsmaßnahmen implementiert. Dabei hat sich die fortgeschrittene Digitalisierung bei Klöckner & Co als großer Vorteil erwiesen. Durch die schnelle und reibungslose Verlagerung vieler Tätigkeiten ins Homeoffice konnten wir unsere Lieferfähigkeit durchgängig sichern. Wir haben aber auch in den letzten zwei Jahren die Zeit genutzt und unsere digitale Transformation konsequent weiter vorangetrieben. Bereits 46 % des Konzernumsatzes wird inzwischen über digitale Kanäle erzielt. Der Kloeckner Assistant, eine KI-getriebene Softwareanwendung für die automatisierte Bearbeitung von Anfragen und Bestellungen, hat dazu maßgeblich beigetragen. Das Tool macht unsere Kunden zu Digitalkunden, ohne dass sie ihre Einkaufsprozesse ändern müssen. Sie können wie bisher Angebotsanfragen und Bestellungen per Fax, E-Mail oder PDF an Klöckner & Co übermitteln. Unsere Systeme übertragen die Informationen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz direkt in unsere ERP-Systeme und senden danach umgehend ein Angebot an den Kunden. Durch die zukünftig weitgehend automatische Bearbeitung wird nicht nur der manuelle Bearbeitungsaufwand erheblich reduziert, sondern auch der bisher langwierige Bestellprozess stark beschleunigt. Ein echter Wettbewerbsvorteil. Als Vorreiter der digitalen Transformation in der Stahlindustrie hat sich Klöckner & Co zum Ziel gesetzt, die führende digitale One-Stop-Shop-Plattform für Stahl, andere Werkstoffe, Ausrüstung und Anarbeitungsdienstleistungen in Europa und Amerika zu werden.
Mit diesem Ziel geht einher, dass wir ein diversifiziertes Produktportfolio anbieten, dass für viele unterschiedliche Abnehmerindustrien interessant ist. Dadurch spielen Engpässe in der Lieferkette bei uns eine untergeordnete Rolle. Nehmen Sie den Chipmangel als Beispiel: Zwar ist die Automobilindustrie hier stark betroffen, die Bauwirtschaft aber kaum. Hier rechnen wir mit Nachholeffekten, sobald die Engpässe behoben sind.
Das zeigt wieder einmal, wie widerstandsfähig Klöckner & Co ist. Bei Großkunden mit Langzeit-Bauprojekten oder großen Produktreihen gelten wir als ausdauernd und zuverlässig – auch finanziell.
Im Jahr 2021 wird Klöckner & Co voraussichtlich ein Rekord-Ergebnis einfahren – trotz Pandemie und anderen Hindernissen. Ihr Unternehmen strebt zudem an, das Vor-Pandemie-Niveau des operativen Ergebnisses nachhaltig bis zum Jahr 2025 mehr als zu verdoppeln. Wie möchten Sie dieses Ziel erreichen?
Ja, das ist richtig. Im Mai haben wir auf der Hauptversammlung unsere neue Unternehmensstrategie „Klöckner & Co 2025: Leveraging Strengths“ vorgestellt. Im Rahmen dieser Strategie wird Klöckner & Co bis zum Jahr 2025 Umsatz und Profitabilität erheblich steigern. Wir nutzen unsere Vorreiterrolle in der Digitalisierung und der deutlich optimierten Kostenstruktur für ein beschleunigtes Kundenwachstum, den umfassenden Ausbau des eigenen Produkt- und Serviceportfolios sowie die Erweiterung des Partnernetzwerkes. Damit wir unsere Ziele sicher erreichen, treiben wir weitere Digitalisierungs- und Automatisierungsmaßnahmen voran und fokussieren uns darauf, unsere operative Exzellenz zu sichern.
Den Ausbau unseres Portfolios haben wir in vielen Teilen unseres europäischen Geschäfts schon vorangetrieben. Bei der Bearbeitung unterstützen wir unsere Kunden von den ersten Anarbeitungsschritten bis zum einbaufertigen Teil – damit nehmen wir in Zukunft unseren Kunden einen Arbeitsschritt ab und liefern Vorprodukte, die in der Produktion direkt verwendet werden können. Häufig ergibt sich daraus eine Win-Win-Situation: Für unsere Kunden bedeutet das, dass sie sich auf ihre Kernprozesse konzentrieren können. Bei Klöckner & Co aggregieren wir Anarbeitungsaufträge und schaffen so Skaleneffekte, was zu geringeren Kosten für die Kunden führt. Ein Beispiel ist der Kranbau: Im Bereich Rohrlaser liefern wir die fast fertigen Teile, weil wir eben nicht nur für Kranbauer lasern, sondern für alle möglichen anderen Anwendungen. Für Kranbauer rechnet es sich nicht, solche Laseranlagen selbst aufzubauen. Die höhere Anarbeitung, und damit der Einstieg in die erste Supply-Chain-Stufe unserer Kunden, ist also ein weiterer Hebel, um unsere strategischen Ziele zu erreichen.
Bei der Kundenabdeckung sehen wir in Europa aktuell noch weiße Flecken auf der Landkarte, weil sich unsere Landesgesellschaften bisher stark an den Nationalstaatsgrenzen orientiert haben. Entsprechend gab es nur wenig Zusammenarbeit zwischen Nachbarländern. Das ändern wir jetzt grundlegend. Für uns ist es nicht mehr das Wichtigste, wo ein Kunde sitzt oder das nächste Lager ist. Wir orientieren uns daran, wie wir unsere Assets am besten nutzen können. Dazu werden wir unsere Prozesse in Zukunft grenzüberschreitend harmonisieren. Denn die Abläufe des Stahlhandels sind in Frankreich oder Holland nicht anders als in Deutschland. Unsere europäischen Gesellschaften werden in den kommenden Jahren von dem neuen Ansatz der Zusammenarbeit nachhaltig profitieren. So erreichen wir eine dichtere Kundenabdeckung und können unseren Kunden gemeinsam noch zielgerichtetere Angebote machen. Von Synergien zwischen den Landesgesellschaften profitieren die Kunden schon heute. Jetzt wollen wir das auf ein neues Level heben. So schaffen wir es, gemeinsam nachhaltig zu wachsen.
Mit der Strategie „Klöckner & Co 2025: Leveraging Strengths“ möchten Sie außerdem Ihre Rolle als digitaler Vorreiter ausbauen. Wie und wo transformiert sich Klöckner jetzt noch weiter?
Mit kloeckner.i in Berlin haben wir bereits im Jahr 2014 einen der ersten digitalen Hubs eines Traditionsunternehmens gegründet. Wir verbinden damit die über hundertjährige Erfahrung des internationalen Stahl- und Metalldistributors Klöckner & Co mit der agilen Arbeitsweise eines Start-ups und treiben von hier alle Projekte und Initiativen rund um die Digitalisierung und Vernetzung im Unternehmen voran.
In der nächsten Entwicklungsstufe der digitalen Transformation wird Klöckner & Co nach der erfolgreichen Digitalisierung der Schnittstellen zu den Kunden nun die Automatisierung der internen Prozesse in den Fokus rücken. Dadurch soll das physische und digitale Geschäft noch stärker verbunden werden, so dass manuelle Tätigkeiten unter dem Stichwort „Zero-Touch“ entlang der Wertschöpfungskette stark reduziert werden. Dafür wurden auch wesentliche Digital- und IT-Kompetenzen von Klöckner & Co unter dem Dach von kloeckner.i gebündelt, unter eine einheitliche Leitung gestellt und enger an das operative Geschäft angebunden. Zudem hat kloeckner.i einen zweiten Innovationshub in den USA gegründet, um den dortigen Anforderungen an die Digitalisierung des Geschäfts besser Rechnung tragen zu können.
Für uns ist es außerdem von zentraler Bedeutung, die Digitalisierung zu nutzen, um die Volatilität unseres Geschäfts zu reduzieren. Wir müssen durch den gesamten Zyklus hindurch profitabel wirtschaften. Ansonsten sind wir nicht da, wo wir hinwollen.
Im Oktober haben Sie gemeldet, dass Klöckner & Co, im Rahmen der Strategie, als einer der ersten Distributoren nahezu CO2-emissionsfrei produzierten „grünen Stahl“ vertreiben wird. Ermöglichen soll dies die Partnerschaft mit dem schwedischen Start-up H2 Green Steel. Außerdem haben Sie sich bereits 2020 der Initiative „Business Ambition for 1.5 °C“ angeschlossen. Ist das der Durchbruch für die Circular Economy?
Für uns ist das ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Vorreiter für Nachhaltigkeit in der Stahlindustrie. Wir bemühen uns heute intensiv, alle Sourcing-Potenziale für grünen Stahl auszuschöpfen. Die Partnerschaft mit H2 Green Steel ist sicher ein gutes Beispiel dafür. Ab 2025 sollen im Rahmen der Partnerschaft zunächst bis zu 250.000 Tonnen grüner Stahl geliefert werden – mit einer möglichen zukünftigen Erweiterung der Liefermengen. Denn unsere Kunden sehen sich den gleichen Anforderungen gegenübergestellt wie wir: klimaneutrale Wertschöpfungsketten aufzubauen. Hierbei werden wir ihnen mit unseren Produkten wie grünem Stahl entscheidend helfen.
Aber wir bei Klöckner & Co werden natürlich auch einen direkten Beitrag zur Klimaneutralität leisten. Für unsere Kunden starten jeden Arbeitstag rund 700 Lkw, um beispielsweise Produkte auszuliefern. Die meisten davon fahren aktuell wieder leer zurück zum Standort. Unser Ziel ist es, die Lkw-Flotte zu nutzen, um wiederverwertbare Materialien zurückzubringen. Das müssen nicht zwangsläufig Stahlprodukte sein. Denn hier bietet das Thema Verpackungsmaterialien einen großen Hebel. Für die Paletten nutzen wir das zum Beispiel heute schon: Wir haben Großkunden, bei denen wir Paletten wieder abholen, so dass für die Kunden keine Verpackungskosten anfallen. Dafür verpflichten sie sich, uns die Paletten zurückzugeben.
Dazu kommt, dass wir in Kürze einen ersten Elektro-Lkw einsetzen. Gemeinsam mit Dienstleistern testen wir außerdem gasbetriebene Lkws, um unseren CO2-Footprint positiv zu beeinflussen. Wir haben uns im Übrigen auch ambitionierte Emissionsziele gegeben, die deutlich vor anderen in der Industrie liegen und zudem wissenschaftsbasiert validiert werden. Bereits im Jahr 2020 hat sich Klöckner & Co der vom UN Global Compact ins Leben gerufenen Initiative „Business Ambition for 1.5 °C“ angeschlossen und stimmt seine Geschäftstätigkeiten auf wissenschaftsbasierte Ziele ab, um durch geeignete Maßnahmen zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C beizutragen.
Welche weiteren Maßnahmen planen Sie strategisch zur Erreichung Ihrer Nachhaltigkeitsziele und zur Erreichung einer nachhaltigeren Wirtschaft?
Klöckner & Co ergreift die strategische Chance, das attraktive, nachhaltige Geschäft in seinem Geschäftsmodell zu verankern. Aufbauend auf der Strategie „Klöckner & Co 2025: Leveraging Strengths“ zielen wir darauf ab, zur führenden digitalen One-Stop-Shop-Plattform für Stahl, andere Werkstoffe und Anarbeitungsdienstleistungen in Europa und Amerika und zum Vorreiter für Nachhaltigkeit zu werden – zum Wohle der Gesellschaft, der Stahlindustrie und der Kunden.
Dabei haben unsere Digitalisierungs- und Automatisierungsprojekte schon jetzt einen großen Einfluss auf die Nachhaltigkeit des Unternehmens. In der Transportlogistik läuft unsere Tourenplanung beispielsweise datengestützt. So können wir nicht nur Emissionen einsparen, sondern gleichzeitig unsere Prozesse datenbasiert optimieren.
Zudem gehen wir neue Wege im Mobility Management. Aktuell haben wir zum Beispiel beschlossen, dass Inlandsflüge in Europa nicht mehr zur Wahl stehen, wenn es um die Reiseplanung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geht. Außerdem wollen wir durch die Reduzierung der Präsenzarbeitszeiten dazu beitragen, dass Emissionen auf dem Weg zur Arbeit eingespart werden. Darüber hinaus haben wir bereits damit begonnen, das gesamte Unternehmen sukzessiv auf erneuerbare Energien umzustellen.
Was erwarten Sie im Kontext „nachhaltige Wertschöpfungskette“ von der neuen Bundesregierung?
Als Vorreiter in der nachhaltigen Stahlindustrie setzen wir uns intensiv mit der Bedeutung einer nachhaltigen Wertschöpfungskette auseinander. Dabei ist uns aufgefallen, dass vor allem klare Definitionen und Richtlinien fehlen. Heute redet beispielsweise jeder von grünem Stahl. Es gibt aber keine klare Definition, was wir als grünen Stahl oder als CO2-reduzierten Stahl bezeichnen können. Hier muss die Politik für Transparenz sorgen. Denn unsere Kunden möchten völlig zu Recht wissen, wie „grün“ oder nachhaltig die Produkte am Ende sind. Als unabhängiger Stahldistributor werden wir uns an dieser Diskussion gerne aktiv beteiligen.