Basjan Berkhout, Programmmanager für Elektromobile Stähle bei Tata Steel Nederland, spricht im Interview mit stahl. über Dekarbonisierung bei der Stahlherstellung und die Ansprüche, denen Stahl in der Zukunft gerecht werden muss. Dabei wird deutlich: In der Optimierung von Stahleigenschaften zielt Tata Steel auf eine breite Produktpalette, anstatt die Forschung auf ein Extrem auszurichten.
stahl.: Welche Rolle spielt Elektromobilität in der Nachhaltigkeitsstrategie von Tata Steel?
Basjan Berkhout: Bei uns ist das große Thema aktuell die Dekarbonisierung unserer Stahlherstellungsprozesse. Hier sind in unserem Unternehmen aktuell sehr viele Mitarbeiter eingebunden, mit dem Ziel unseren CO2-Ausstoß zu reduzieren. Deshalb hat Tata Steel Nederland kürzlich unsere Zeremis-Reise bekannt gegeben. Zeremis - kurz für Zero Emissions - ist unser Versprechen an den Planeten, bis 2045 kohlenstoffneutral zu werden. Die Marke Zeremis steht für den Weg, den Tata Steel Nederland gemeinsam mit seinen Kunden in Richtung einer kohlenstofffreien, kreislauforientierten Welt geht. Damit bieten wir schon jetzt Stahllösungen an, die unseren Kunden bereits vor unserer großen Umstellung der Stahlproduktion helfen, ihre Scope-3-Emissionen zu reduzieren. Der nächste Schritt wird sein, unseren CO2-Ausstoß bis 2030 um bis zu 40 Prozent zu senken. Danach – bis 2038 – wollen wir noch weiter gehen und bis zu 70 Prozent minimieren. Die letzten 30 Prozent werden dann bis 2045 eingespart. Es ist auch wichtig, dass Dekarbonisierung nicht nur über die Reduzierung von CO2 im Herstellungsprozess funktioniert, sondern auch über die Kreislaufwirtschaft des Stahls. Das ist das andere große Thema unserer Nachhaltigkeitsstrategie. Unsere Produkte sollen die richtigen Eigenschaften haben. Unsere grünen Produkte, wie etwa Zeremis Carbon Lite, sollten letztlich auch in grünen Anwendungen einen Platz bekommen. In der Automobilindustrie geht das Wachstum der Elektromobilität momentan sehr schnell vonstatten. Deshalb sollten unsere grünen Produkte mit weniger CO2-Ausstoß für die Anwendung in Elektrofahrzeugen geeignet sein. Die Dekarbonisierung benötigt hohe Investitionen, aber am Ende müssen wir auch die richtigen Produkte herstellen. Diese Themen sind zwei Seiten einer Medaille, die man nicht getrennt voneinander betrachten kann. Beide haben die gleiche Priorität für uns.
Sie bieten Ihre Produkte – Stähle für Motoren oder Batterien – aus einer Hand an. Wie wird da der Austausch mit den Kunden gestaltet?
Das ist abhängig vom Kunden und wie weit dieser im Prozess ist. Es gibt zum Beispiel Kunden, die schon den Schritt gemacht haben zum Insourcing von Technologie- und Materialbeschaffung – und dies auch schon für die Komponenten des Elektrofahrzeugs. Diese Kunden kaufen Stahl für Batterien oder Elektromotoren. Es gibt aber auch andere, die noch nicht so weit sind. Diese kaufen Stähle für Karosserie, Fahrwerk, usw. – also die traditionellen Stähle für die Automobilindustrie. Abhängig vom Unternehmen gestaltet sich die Zusammenarbeit also sehr unterschiedlich. Was wir momentan versuchen, ist die Kunden darüber zu informieren, wie wir unterstützen können, welche Produkte wir schon anbieten und welche Expertise wir haben. Unsere Möglichkeiten sind den Kunden nicht immer bekannt.
Wie reagieren Kunden, wenn Sie Produkte aus einer Hand mit mehreren Optionen anbieten?
Für die Beschaffung des Materials wird es in Zukunft ein Vorteil sein, wenn wir Produkte aus einer Hand anbieten. Wenn der Einkäufer alle Materialien bei uns einkauft, wird das für uns interessant sein. Aber auch für die Entwicklung gibt es Vorteile. Alle Komponenten, wie Elektromotor oder Batterie, haben einen indirekten Einfluss aufeinander. Batterie und Karosserie aber sind ein System. Was wir bis jetzt gesehen haben, ist, dass zum Beispiel das Batteriesystem und die Karosserie entwickelt und dann miteinander verbunden werden. Dann hat man ein Fahrzeug, das noch nicht optimiert ist. Wenn man aber ganzheitlich entwickelt und alle Technologien beobachtet, dann ist im Bereich Batterie und Karosserie viel zu gewinnen. Wir haben den Vorteil, dass wir beides zusammen machen und auch die Expertise in beiden Anwendungen haben. Wenn das Ziel ist, Batterie und Karosserie besser zu integrieren, können wir auch da unterstützen. Wir arbeiten also nicht nur in der Beschaffung, sondern auch in der Entwicklung.
Welche strategischen und technologischen Partnerschaften streben Sie an?
Es ist wichtig, die nächste Generation von Elektrofahrzeugen zu entwickeln. Reichweite, Effizienz und Kosten sollten optimiert werden. Was wir jetzt schon sehen, ist, dass das Fahrzeug ganzheitlicher entwickelt wird. Aus diesem Grund müssen Partnerschaften zwischen den verschiedenen Parteien der Wertschöpfungskette aufgebaut werden. Stahl hat einen großen Einfluss auf das Resultat. Uns ist wichtig, dies frühzeitig einzubinden. Als Tata Steel versuchen wir, die richtigen Partnerschaften aufzubauen. Das gilt für die Autohersteller, also die OEMs, aber auch für die TIER. Nicht jeder OEM entwickelt schon einen Elektromotor. Wir arbeiten auch eng mit einigen der TIER zusammen. Das sind dann unsere direkten Kunden und Partner, um das Auto in der Entwicklung zu verbessern. Dann gibt es noch weitere Partnerschaften mit Instituten und Universitäten. Wir testen auch, ob wir schon etwas entwickeln können, was in der nächsten Generation – also in drei bis fünf Jahren – noch nicht zur Anwendung kommt, vielleicht aber in den nächsten zehn Jahren. An all den Möglichkeiten, die noch nicht auf der Bildfläche sind und in einer Partnerschaft mit einem OEM oder TIER vorangebracht werden, können wir mit Universitäten und Instituten schon forschen.
Welche Entwicklung sehen Sie für Stähle als zwingend notwendig im automobilen Leichtbau?
Die kurze Antwort ist: Stähle müssen geeignet für den Zweck sein. Das klingt selbstverständlich, ist aber sehr komplex, denn die Randbedingungen ändern sich konstant. In der Vergangenheit war es so, dass das Auto in der Nutzungsphase optimiert werden musste, zum Beispiel sollte der Verbrauch reduziert werden. Da ist das Gewicht wichtig. Die Kosten für den Leichtbau sind natürlich höher, aber notwendig, weil man Leichtbau konstruieren musste, um die CO2-Ziele zu erreichen.
Welche Rolle spielt CO2 in Bezug zur Festigkeit und Formbarkeit der Stähle im automobilen Leichtbau?
In der Vergangenheit ging es um die Nutzungsphase des Autos, jetzt geht es um die gesamte Leistung, also die Stahlproduktion, den Verbrauch und auch das Recycling. Man muss mehrere Eigenschaften optimieren, Nachhaltigkeit gelingt nicht mehr nur noch über extremen Leichtbau. Was wir bei Tata Steel versuchen, ist das Produkt so herzustellen, dass sein gesamter Lebenszyklus nachhaltiger ist. Wenn wir in Extreme gehen, um noch höhere Festigkeit oder Umformbarkeit zu erzielen, hat das einen Einfluss auf den CO2-Ausstoß und ist daher nicht der richtige Schritt. Wir suchen vielmehr nach der Optimierung verschiedener Eigenschaften.
Sehen Sie bei Festigkeit und Formbarkeit auch eine Entwicklungsnotwendigkeit?
Wenn wir über bestimmte Eigenschaften für Karosserie oder Fahrwerk sprechen, gibt es die Notwendigkeit, Stahl hoher Festigkeit herzustellen. Bei Tata Steel sind wir aktuell auf dem Niveau 1.000 Megapascal. Wir möchten gerne einen Schritt weiter gehen zu 1.200 Megapascal. Für warmumgeformte Stähle möchten wir sogar eine Festigkeit von 1.500 Megapascal erreichen. Man könnte noch weiter gehen, bis zu 2.000 Megapascal, aber dann wird es immer schwieriger, die richtige Eigenschaftenbilanz zu erreichen. Die Stähle, die eine sehr hohe Festigkeit bieten, haben auch mehr Probleme mit Wasserstoffversprödung. Es ist äußerst wichtig, das richtige Niveau anzubieten. Eine Festigkeit von 1.200 Megapascal ist für die meisten Anwendungen sehr gut geeignet. Unsere Forschung zielt nicht darauf ab, das Extrem zu erreichen. Wir gehen nicht in die Extreme, wie einige unserer Wettbewerber.
Haben Sie schon Erfahrungen mit der Eigenverarbeitung von Stahlschrotten durch Automobilhersteller gemacht?
Wir bereiten uns auf dieses Szenario vor, haben aber selbst noch keine Erfahrungen damit gemacht. In der Aluminiumindustrie hat es begonnen. Closed-Loop Recycling ist da ganz wichtig, weil man mit so einem System eventuell auch das primäre Aluminium aus recyceltem Aluminium herstellen kann. Mit Stahl ist das nicht direkt notwendig. Mit den heutigen Prozessen kann man aus dem recycelten Stahl wieder das hochwertige Produkt herstellen. In Zukunft wird sich das vielleicht ändern. Mit mehr Elektrolichtbogenöfen ist es schwieriger, aus dem recycelten Stahl wieder ein hochwertiges – weil sehr reines – Produkt herzustellen.
Welche Rolle spielt die Qualität der Elektromobilen Stähle in der Transformation der Automobilindustrie?
Qualität ist immer ein wichtiger Faktor und Grundelement des Stahls und des Materials. Sie sollte auf dem richtigen Niveau sein, denn wenn sie nicht ausreicht, kommt es zu Problemen im Produktionsprozess oder sogar zu Fahrzeugrückrufen. In der Automobilindustrie ist es so, dass die Stähle, die wir für Karosserie oder Fahrwerk anbieten, genauen Normen und Standards unterliegen. Es ist also sehr deutlich, welche Qualität der Stahl haben muss. Mit der Neuanmeldung von zum Beispiel Elektromotoren ist es etwas komplexer. Für Elektrostähle gibt es keine Marktnormen. Da muss dann mit dem Kunden besprochen werden, auf welches Qualitätsniveau und welche Eigenschaften wir uns vorbereiten sollten. Es ist also für einige Anwendungen im Elektrofahrzeug komplizierter als beim Verbrennungsmotor, Stähle zu entwickeln. Ganz oben auf unserer Prioritätenliste ist immer, die Qualität auf dem richtigen Niveau zu halten. Ich glaube auch, dass Nachhaltigkeit so ein Wert wie Qualität ist. Jetzt ist das eine Entwicklung und vielleicht auch eine Möglichkeit, um uns von Wettbewerbern zu unterscheiden. Am Ende muss Nachhaltigkeit aber auf einem bestimmten Niveau sein und da auch bleiben. Dann ist es ein Hygienefaktor. Das kommt vielleicht in 20 Jahren, jetzt noch nicht. Die Qualität ist schon da und bleibt auch da.
Was müssen die Stähle der Zukunft leisten?
Das ist ganz klar: Nachhaltigkeit ist ganz oben auf der Prioritätenliste. Stahl sollte von Natur aus nachhaltig sein, aber auch geeignet für nachhaltige Endprodukte. Das bedeutet, Stahl ist CO2-frei und verantwortungsvoll produziert. Die Responsible Sourcing Strategie ist eine wichtige Strategie bei Tata Steel Nederland. Stähle müssen außerdem vollständig recycelbar sein. Das ist leider immer noch nicht vollends möglich. Einige unserer beschichteten Stähle enthalten noch Elemente, die sich im Recyclingprozess nur schwer aus dem Stahl entfernen lassen. Um die Recyclingfähigkeit unserer Stähle weiter zu verbessern, müssen wir alternative Produkte oder effizientere Verfahren für das Recycling dieser Elemente entwickeln, woran wir arbeiten. Stahl sollte aber auch hochwertig sein und die richtigen Eigenschaften aufweisen. Nur wenn das alles gelingt, kann Stahl einen Beitrag zu einer nachhaltigeren und grüneren Gesellschaft leisten. Das ist unser Ziel.
Herr Berkhout, vielen Dank für das Gespräch.