13.10.2010
Auch gegenüber den ab 2011 verfügbaren ersten zeitvariablen Tarifmodellen ist die Skepsis noch groß. Eine Studie des Managementberatungs-, Technologie- und Outsourcing-Dienstleisters Accenture zeigt: Bei der Digitalisierung der Stromnetze sind Energieversorger nicht nur als Investoren, sondern vor allem als Beratungs- und Servicedienstleister gefordert. Für die Studie wurden über 9000 Verbraucher weltweit befragt, darunter 513 in Deutschland.
Mit dem fortschreitenden Einbau neuer, intelligenter Stromzähler hat die erste Ausbaustufe des so genannten "Smart Grid" Einzug in deutsche Haushalte gehalten. Bei aller Freude über das Plus an Transparenz über den eigenen Stromverbrauch wird der Blick der deutschen Energieverbraucher bislang maßgeblich von Unwissenheit und Unsicherheit geleitet. Nur jeder Dritte (31 Prozent) etwa weiß, dass sich mit zeitvariablen Stromtarifen Energie und Kosten einsparen lassen, etwa durch den gezielten Betrieb energieintensiver Endgeräte, wie zum Beispiel Wäschetrockner, während verbrauchsarmer und damit kostengünstiger Tageszeiten. Das Energiewirtschaftsgesetz verpflichtet die Versorger ab 2011 dazu, solche Tarife anzubieten. Ob ihr jeweiliges Versorgungsunternehmen lastvariable Produkte anbieten wird - und wenn ja, welche - , ist selbst im kleinen Kreis derer weitgehend unbekannt (70 Prozent), die grundsätzlich schon von diesen Produkten gehört haben.
Grundsätzlich regiert unter den Verbrauchern bislang die Skepsis. So lehnen beinahe neun von zehn Befragten (88 Prozent) Stromtarife ab, die die freie Gestaltung des eigenen Energieverbrauchs einschränken und etwa den Betrieb verbrauchsintensiver Endgeräte nur zu bestimmten Zeiten gestatten. Doch selbst ohne eine solche Einschränkung bleibt die Zustimmung der Verbraucher mit nur 28 Prozent deutlich gering.
Kostensteigerungen und Datensicherheit
Die Verbraucher fühlen sich unterinformiert: 44 Prozent begründen ihre Bedenken mit der Sorge vor höheren Stromrechnungen - obgleich zeitvariable Tarife doch der Senkung der Verbrauchskosten dienen sollen. Knapp ein Drittel der Befragten (30 Prozent) fürchtet, Abstriche am eigenen Lebenskomfort in Kauf nehmen zu müssen, und beinahe jeder Zweite (44 Prozent) hat datenschutzrechtliche Vorbehalte und lehnt einen erweiterten Zugriff seines Energieversorgers auf Verbrauchsdaten ab.
"Auch zwölf Jahre nach der Liberalisierung des deutschen Strommarktes nehmen weite Teile der Verbraucher Strom nicht als individuelles, frei wählbares Produkt wahr", sagt Stephan Werthschulte, Geschäftsführer im Bereich Energieversorgungswirtschaft bei Accenture. "Für die meisten ist Strom schlichtweg das, was aus der Steckdose kommt - das zeigt die nach wie vor geringe Bereitschaft zum Anbieterwechsel. Jetzt, an der Schwelle zum 'Smart grid', befindet sich die Energiewirtschaft erneut in der schwierigen Lage, den nachhaltigen Wandel eines Produktes zu vollziehen und zu kommunizieren, das viele Endkunden lediglich als selbstverständliches Gebrauchsgut betrachten."
Tatsächlich beurteilen die deutschen Verbraucher die Beratungskompetenz ihrer Energieversorger kritisch: Zwar werden diese grundsätzlich noch vor Verbraucher- und Umweltschutzorganisationen als logische Erstinstanz für eine Energieberatung betrachtet (46 Prozent). Zugleich traut aber nur einer von zehn seinem Versorger auch eine entsprechend objektive Beratungsleistung zu. Beinahe jeder Zweite spricht sogar offen sein Misstrauen aus (43 Prozent).
"Für die Energieunternehmen besteht einerseits die große Chance, in der Vergangenheit verlorenes Verbrauchervertrauen zurückzugewinnen", sagt Stephan Werthschulte. "Andererseits befinden sich Versorger als Verkäufer und Berater in Personalunion in einem strukturellen Dilemma: Das Verkaufen von Strom ist ihr Geschäft, gleichzeitig erwarten ihre Kunden aber Beratung beim Einsparen von Energie. Um diesen Spagat zu meistern, müssen sie sich ein Stück weit neu erfinden, und das schnell, denn auch andere Anbieter drängen in dieses Marktsegment. Wenn es ihnen gelingt, mit Hilfe neuer Geschäftsmodelle und -strukturen, Beratungs- und Servicedienstleistungen zur eigenen Kernkompetenz zu machen, können sie das Dilemma umgehen und sich erfolgreich als innovative Anbieter positionieren."
Quelle: Accenture, mirko.lueck@accenture.com